Muss der Besteller die Möbel trotz erklärten Widerrufs abnehmen und bezahlen?
Wer außerhalb von Geschäftsräumen bei einem Unternehmer Waren kauft oder andere Verträge abschließt, kann als Verbraucher einen solchen Vertrag widerrufen. Die Widerrufsfrist beträgt in der Regel vierzehn Tage ab Vertragsschluss.
Aber gilt das auch dann, wenn der Verbraucher nach Maß zu fertigende Ware bestellt? Darf der Verbraucher die durch das Widerrufsrecht eingeräumte Möglichkeit, den Vertragsschluss zu überdenken und seine Entscheidung per Widerruf rückgängig zu machen, auch in einem solchen Fall nutzen? Obwohl die maßgefertigte Ware möglicherweise ausschließlich für ihn, den konkreten Besteller, verwendbar ist? Und was ist, wenn der Widerruf beim Unternehmer zu einem Zeitpunkt eingeht, zu dem die Maßanfertigung noch gar nicht begonnen hat?
Mit einer solchen Konstellation hatte sich das Amtsgericht Potsdam zu befassen. Der Kunde, ein Verbraucher, hatte an einem Messestand für private Zwecke eine Einbauküche bestellt. Teile der Küche sollten individuell an die beim Kunden vorhandene Einbausituation angepasst werden, also „auf Maß“ gefertigt werden. Der Unternehmer beabsichtigte, einen Subunternehmer mit der Fertigung dieser Maßteile zu beauftragen. Bereits vor Beginn solcher Aktivitäten des Unternehmers widerrief der Besteller den Vertragsschluss. Der Widerruf erfolgte fristgerecht. Der Besteller berief sich hierauf und er weigerte sich deshalb, die Küche abzunehmen. Daraufhin verklagte ihn der Unternehmer auf Zahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Lieferung.
Das Amtsgericht legte den Fall dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vor, weil der Sachverhalt im Zusammenhang mit einer ungeklärten Rechtsfrage auch sog. Richtlinien des europäischen Rechts berühre, nämlich: Gilt der Ausschluss des Widerrufsrechts auch dann, wenn der Unternehmer noch gar nicht mit der Maßanfertigung begonnen hatte? Das Gericht konnte diese Frage nicht beantworten, ohne folgende Bestimmung des Bürgerlichen Gesetzbuchs richtlinienkonform auszulegen:
§ 312g BGB: Widerrufsrecht
(1) Dem Verbraucher steht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht gemäß § 355 zu.
(2) Das Widerrufsrecht besteht, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, nicht bei folgenden Verträgen:
- Verträge zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind, (….)
Eindeutig geregelt war und ist im Gesetz also nur, dass bei erforderlicher individueller Maßanfertigung das Widerrufsrecht ausgeschlossen ist. Nicht geregelt ist das sich hier stellende Problem, dass diese Maßanfertigung noch gar nicht begonnen hatte, als der Widerruf erklärt wurde. Das Amtsgericht Potsdam sah sich auch wegen divergierender Entscheidungen anderer Gerichte zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) veranlasst. Der EuGH (Urt. v. 21.10.2020, Az. C-529/19) entschied, dass es keine Rolle spiele, wann mit der Maßanfertigung begonnen werde. Sinn der Vorgaben der EU-Richtlinie sei es, für Rechtssicherheit sorgen; verkürzt formuliert: Maßanfertigung bleibt Maßanfertigung – egal, wann konkret mit der Fertigung begonnen wird. Hinzu komme, dass der Verbraucher gar nicht wissen könne, wann denn nun mit der Maßanfertigung begonnen werde. Ein zusätzliches Problem stelle sich auch noch: Es sei fraglich, ob der auf der Messe geschlossene Vertrag überhaupt dem Anwendungsbereich der Richtlinie für den sog. Fernabsatz unterfalle. Ein konkreter Messestand sei ein „Geschäftsraum“; lediglich auf das Messegelände als solches treffe das nicht zu.
Fazit
In Fällen dieser Art bedürfen beide Seiten, also sowohl Verbraucher als auch Unternehmer, sorgfältiger Beratung, bevor übereilte Schritte veranlasst werden. An den Standorten unserer Rechtsanwaltskanzlei in Wasserburg am Inn, Rosenheim und Ebersberg stehen wir Ihnen gerne für eine Analyse Ihres Falls zur Verfügung.