Der V. Zivilsenat des BGH wendet sich für das Kaufrecht gegen die bauvertragsrechtliche Rechtsprechung des VII. Zivilsenats zu (nur) „fiktiven“ Mängelbeseitigungskosten!
Wir haben uns an dieser Stelle im Sektor „Baurecht“ wiederholt mit dem Thema der „fiktiven“ Mängelbeseitigungskosten befasst. Für das Werkvertragsrecht und damit auch für das Bauvertragsrecht hatte der hierfür zuständige VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs im Februar 2018 entschieden, dass es im Bauvertragsrecht (also: Werkvertragsrecht) keine „fiktiven“ Mängelbeseitigungskosten mehr geben solle, genauer: dass ein Auftraggeber nur noch Ersatz von ihm tatsächlichen entstandenen Kosten oder eines sog. mangelbedingten Minderwerts verlangen könne (BGH, Urt. v. 22. Februar 2018, VII ZR 46/17). Zuvor konnte ein Auftraggeber seinen mangelbedingten, schuldhaft vom Auftragnehmer verursachten Schaden mit den „fiktiven“, also per Kostenvoranschlag oder Sachverständigengutachten prognostizierten Mängelbeseitigungskosten bemessen. Der „Schaden“ bestand aus dem für die Mangelbeseitigung voraussichtlich erforderlichen Geldbetrag. Der Auftraggeber war aber frei in der Verwendung dieses Betrags; er konnte sich auch dafür entscheiden, den Mangel hinzunehmen, also „mit dem Mangel zu leben“, diesen nicht oder nur teilweise („Notreparatur“, „Provisorium“) zu beseitigen. Zu entnehmen ist diese Leitlinie u. a. den BGH-Urteilen vom 24. Mai 1973, VII ZR 92/71 und vom 28. Juni 2007, VII ZR 81/06. Der siebte Zivilsenat sieht dies nun seit Februar 2018 anders (BGH, Urt. v. 22. Februar 2018, VII ZR 46/17). Seither gilt im Bauvertragsrecht: „Schaden“ bedeutet, entweder Geld ausgeben zu müssen für die Beseitigung eines Mangels oder einen Wertverlust zu erleiden, weil der Mangel fortbesteht und dadurch das Bauwerk einen geringeren Wert hat. Letzteres darzulegen ist schwieriger als es zunächst erscheinen mag; das mag ein Beispiel verdeutlichen: Wer kann zuverlässig errechnen, um wie viel ein Einfamilienhaus, dessen keramische Bodenbeläge ein (zu) uneinheitliches und deshalb mangelhaftes Fugenbild haben, weniger wert ist? Konkret: Würde ein Kaufinteressent weniger bezahlen, wenn man ihn auf diesen Mangel hinweist? Oder würde der Interessent aufgrund der konkreten Marktlage das Haus so oder so zum angebotenen Preis kaufen?
Für das Kaufrecht hat nun der V. Zivilsenat am 13. März 2020 zum Az. V ZR 33/19 anders entschieden als der VII. Zivilsenat.
Einige Zitate aus dem Beschluss des BGH lassen die sich stellende Frage und die hierauf ergangene Antwort des V. Zivilsenats erkennen:
Die Kläger erwarben von dem Beklagten mit notariellem Kaufvertrag vom 27. Februar 2014 eine Eigentumswohnung zum Preis von 79.800 € unter Ausschluss der Sachmängelhaftung. In dem Kaufvertrag heißt es in Nr. III.1:
„(Abs. 4) Der Verkäufer verpflichtet sich, die Fassade zur Gartenseite und die rechte Fassadenseite zum Stellplatz hin bis zum 1. April 2014 auf seine Kosten sach- und fachgerecht zu isolieren und zu verputzen. Für diese Arbeiten übernimmt der Verkäufer die Gewährleistung nach den Regeln des Werkvertragsrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches.
(Abs. 5) Dem Verkäufer ist bekannt, dass es in der Vergangenheit an der Schlafzimmerwand Feuchtigkeit gab. Sollte es bis zum 31. Dezember 2015 erneut zu einer Feuchtigkeit im Schlafzimmer kommen, verpflichtet sich der Verkäufer, diese auf seine eigenen Kosten zu beheben.“
Nach Übergabe der Wohnung trat Ende 2014 Feuchtigkeit in dem Schlafzimmer der Kläger auf, zu deren Beseitigung die Kläger den Beklagten erfolglos unter Fristsetzung aufforderten. Die Wohnungseigentümer ermächtigten die Kläger durch Beschluss auch insoweit zur Behebung der Schäden, als das Gemeinschaftseigentum betroffen ist. Mit der Klage verlangen die Kläger von dem Beklagten die Zahlung der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten ohne Umsatzsteuer in Höhe von 12.312,90 € und den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten; ferner wollen sie feststellen lassen, dass der Beklagte weitere Schäden ersetzen muss.
Die Antwort des BGH lautet auszugsweise:
3. Die von dem Berufungsgericht vorgenommene Bemessung des kaufvertraglichen Schadensersatzes statt der Leistung gemäß § 437 Nr. 3, § 280, § 281 Abs. 1 BGB entspricht der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung.
a) Danach kann der Käufer im Rahmen des kleinen Schadensersatzes entweder Ausgleich des mangelbedingten Minderwerts oder Ersatz der voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten verlangen, wobei es unerheblich ist, ob der Mangel tatsächlich beseitigt wird. Dies haben der V. und anschließend der VIII. Zivilsenat im Wesentlichen mit dem Gleichlauf zwischen werkvertraglichem und kaufrechtlichem Nacherfüllungsanspruch infolge der Schuldrechtsreform begründet; dabei haben sie sich auf die bisherige Rechtsprechung des VII. Zivilsenats zum Werkvertragsrecht bezogen(vgl. Senat, Urteil vom 15. Juni 2012 – V ZR 198/11, BGHZ 193, 326 Rn. 31; Urteil vom 4. April 2014 – V ZR 275/12, BGHZ 200, 350 Rn. 33; Urteil vom 11. Dezember 2015 – V ZR 26/15, BauR 2016, 1035 Rn. 21; BGH, Urteil vom 29. April 2015 – VIII ZR 104/14, ZfSch 2015, 625 Rn. 12).
b) Die genannte Rechtsprechung des VII. Zivilsenats bezieht sich auf das Schuldrecht in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung. Das frühere Werkvertragsrecht enthielt ebenso wie nunmehr § 634 Nr. 1, § 635 BGB nF einen vorrangigen Mängelbeseitigungsanspruch des Bestellers (vgl. § 633 Abs. 2, §§ 634, 635 BGB aF). Der Schadensersatzanspruch des Bestellers konnte nach ständiger Rechtsprechung des VII. Zivilsenats anhand der Differenz zwischen dem Verkehrswert des Werkes mit und ohne Mangel ermittelt werden. Wahlweise zulässig war aber auch die hier interessierende Schadensberechnung anhand der voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten, wobei es unerheblich war, ob der Mangel tatsächlich beseitigt wird (vgl. BGH, Urteil vom 24. Mai 1973 – VII ZR 92/71, BGHZ 61, 28, 30 f.; Urteil vom 22. Juli 2004 – VII ZR 275/03, MDR 2005, 86; Urteil vom 11. Oktober 2012 – VII ZR 179/11, BauR 2013, 81 Rn. 10). Der Schadensersatzanspruch trete nämlich an die Stelle des auf mangelfreie Herstellung gerichteten Erfüllungsanspruchs und ziele auf die Herbeiführung des von dem Unternehmer geschuldeten werkvertraglichen Erfolgs; daher könne der Besteller als Ausgleich für das mangelhafte Werk die Kosten der Mängelbeseitigung verlangen (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2005 – VII ZR 321/03, MDR 2005, 983, 984). Auf eine tatsächlich durchgeführte Mängelbeseitigung komme es wegen der Dispositionsbefugnis des Geschädigten nicht an (vgl. BGH, Urteil vom 24. Mai 1973 – VII ZR 92/71, BGHZ 61, 28, 30 f.; Urteil vom 6. November 1986 – VII ZR 97/85, BGHZ 99, 81, 86 f.; Urteil vom 28. Juni 2007 – VII ZR 8/06, NJW 2007, 2697 Rn. 13). Allerdings könne der Besteller in entsprechender Anwendung von § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB nur den Ersatz der Wertdifferenz verlangen, wenn die Herstellung der Mangelfreiheit unverhältnismäßige Aufwendungen erfordere (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 1972 – VII ZR 181/71, BGHZ 59, 365, 367; Urteil vom 11. Oktober 2012 – VII ZR 179/11, NJW 2013, 370 Rn. 11; ebenso für das Kaufrecht Senat, Urteil vom 4. April 2014 – V ZR 275/12, BGHZ 200, 350 Rn. 36).
Der V. Zivilsenat hat nun beim VII. Zivilsenat im dafür nach § 132 Abs. 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) vorgesehenen Verfahren angefragt, ob dieser an seiner Rechtsprechung festhalten will (sog. Divergenzanfrage). Wenn der VII. Zivilsenat dies – erwartungsgemäß – bejahen sollte, so wird der Große Senat für Zivilsachen gem. § 132 Abs. 2 S. 1 GVG entscheiden müssen.
Fazit
Die Ansprüche des Auftraggebers bzw. Käufers bei Mängeln am Bauwerk oder sonstigem Werk bzw. an der Kaufsache bedürfen sorgfältiger Analyse. Vermeintlich einfache Fälle können hochkompliziert sein. Die unterschiedlichen Auffassungen der beiden BGH-Senate zeigen auch, wie wichtig der Blick für das Ganze ist: Es reicht nicht, sich „nur“ im Baurecht oder „nur“ im Kaufvertragsrecht auszukennen. Gefragt ist breites Fachwissen und Erfahrung. Im ersten Schritt bedarf der/die Betroffene (egal, auf welcher Seite des sich abzeichnenden Rechtsstreits er/sie steht) der Beratung. An unseren Standorten in Wasserburg am Inn, Rosenheim und Ebersberg stehen Ihnen im Baurecht ebenso wie in angrenzenden Rechtsgebieten erfahrene Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen unserer Kanzlei zur Verfügung. Wir beraten Bauunternehmer ebenso wie deren Kunden, Verkäufer ebenso wie Käufer.