Ein gerade 16-Jähriger fährt nach Mitternacht mit seinem Leichtkraftrad (A1-Führerschein, 125 ccm) allein auf weiter Flur. Aus Angst, etwas falsch gemacht zu haben, hält er auf Zeichen zur Verkehrskontrolle (Streifenwagen hinter ihm) zwar erst an, dann aber weiter – ein dummer Kurzschluss, wie er selbst sagt. Etwa 400 m außerorts war er dabei deutlich schneller als erlaubt, teils in einer 30er Zone an einem (menschenleeren) Sportplatz; eine langgezogene Kurve schnitt er; innerorts wurde er viel langsamer, kam aber einer Hauswand und zwei nicht ermittelbaren Radfahrern ca. 1,5 m nahe und ein Stück weiter letztlich zu Sturz, ohne sich zu verletzen. Das war eine Ordnungswidrigkeit wegen unangepasster Geschwindigkeit (§ 3 StVO). Mit einer Geldbuße von 100 EUR ließ es insoweit das Amtsgericht Rosenheim bewenden. Der Staatsanwaltschaft war das nicht genug und sie ging in Berufung. Dies mit der Begründung aus der Anklageschrift, wonach sich der junge Mann ein „verbotenes Kraftfahrzeugrennen“ geliefert habe (§ 315 d Abs. 1 Nr. 3 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt). Für eine Strafbarkeit nach § 315 c StGB reichte es nämlich von vornherein nicht, mangels konkreter Gefährdung. Auf die Idee, dass man auch die Polizei zu einem verbotenen Rennen herausfordern kann, muss man erstmal kommen. Neu ist sie nicht. Das OLG Stuttgart bejahte das in einem Beschluss vom 4.7.2019 – 4 Rv 28 Ss103/19. Dort war ein Pkw mit 145 km/h statt zulässig 50 und 180 statt 70 teils „über Rot“ und durch unübersichtliche Kurven auf der Flucht, bis nach 13 km der Kontakt abriss und die Verfolgung abgebrochen werden musste. Nicht anders müsse man auch den Teenager auf seinem Zweirad beurteilen, Zitat: „grob verkehrswidrige und rücksichtslose Geschwindigkeitsjagd“. Man ist geneigt, darüber zu schmunzeln. Das vergeht einem aber, wenn man bedenkt, dass nach § 160 Abs. 2 StPO die Staatsanwaltschaft nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln (und zu würdigen) hat. Vom Vorfall bis zur Berufungshauptverhandlung verging knapp ein Jahr im Leben des Schülers in Angst vor seiner Überkrimininalisierung. Die Verteidigung zerlegte die Tatbestandsmerkmale: „grob“ würde ein besonders gefährliches Abweichen vom pflichtgemäßen Verhalten bedeuten; noch dazu müsste dies „rücksichtslos“ sein, also Eigensucht beim Hinwegsetzen über bekannte Pflichten oder gleichgültiges Drauflosfahren; dies beides zusammen wiederum auch nur zu dem Zweck, um auf das höchste Tempo zu kommen. Nach erneuter Einvernahme der Polizeibeamten war das (weiterhin) zu verneinen, schon weil es an der Rücksichtslosigkeit fehlte. Außerdem war die Flucht nur Mittel zum Zweck, sich der Kontrolle zu entziehen, und nicht „von der Absicht getragen, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“ (LG Traunstein vom 7.10.2020 – Ns 410 Js 39178/19jug).
, von Dr. Wolf Herkner, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Themengebiet: Verkehrsrecht