Der „unglaubliche“ Fall (TZ), in dem sich gegen eine „unnachgiebige“ (BR24) Kommune „ein Ehepaar ins Dunkel klagt“ (OVB), sorgte für beachtliches Medienecho.
Das Verwaltungsgericht München hat am 28.11.2018 zum Aktenzeichen M 19 K 17.4863 das Urteil verkündet, wonach die beklagte Gemeinde verpflichtet wird, zwei Straßenlaternen durch Austausch der Leuchtenköpfe oder Einbau einer Abschattung so zu verändern, dass die Richtwerte der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI) vom 13.9.2012 für das straßenseitige Obergeschoss des klägerischen Wohnhauses bezüglich der psychologischen Blendung eingehalten werden.
Hintergrund: Das Paar war vor rund 30 Jahren zugezogen, Mitte 2013 kam die Straßenbeleuchtung mit 2 Laternen im Abstand zum Wohnhaus von 11 m und 25 m. Es handelt sich um Mastaufsätze mit waagrecht abstrahlenden LED-Pilzleuchten, jeweils 17 Watt Leistung. Die Hausfassade wird wie ein „Gefängnishof“ so angeleuchtet, dass – trotz Jalousie – das grelle Licht bis ins Schlafzimmer eindringt; man ist um die Schlafruhe gebracht und auch auf dem Balkon hält man sich abends nicht mehr auf. Für den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof war schon 1990 „unbestritten“, dass Licht vegetative, hormonale und psychische Wirkungen auf den menschlichen Organismus nachweisbar ausübt (Az. 8 B 87.03780, siehe unten).
Eine gütliche Lösung lehnte die Gemeinde trotz mehrerer Anläufe ab, weshalb Anfang 2015 ein selbständiges Beweisverfahren angestrengt werden musste. Nach einem mitternächtlichen Ortstermin erstattete ein Sachverständiger sein schriftliches Gutachten, dem nicht weniger als 3 Ergänzungen nachfolgten. Da es gesetzlich normierte Grenzwerte für Lichtverschmutzung und in Bayern (anders als in NRW, vgl. OVG Münster vom 21.8.2015 – 7 D 61/14.NE) auch einen Runderlass nicht gibt, berücksichtigte der Gutachter vor allem die LAI-Hinweise („Licht-Richtlinie“) in der Fassung ihrer Überarbeitung vom September 2012 und nahm auch mit eigenen Worten eine allgemeinverständliche Einschätzung der Situation vor. Während die dortigen Richtwerte für Raumaufhellung (Beleuchtungsstärke, gemessen in der Einheit „lx“) knapp gewahrt waren, überschritt die Immission das tolerable Maß für die Blendung (mit einem Proportionalitätsfaktor der Leuchtdichte) erheblich, vergleichbar mit dem fast 3fachen eines Vollmondes. Das stellte also eine „deutliche Störung“ dar. Abhilfe durch Umbau würde nur rund 1600 EUR netto kosten und trotzdem bliebe der Verkehrsraum angemessen hell genug (wofür es ein technisches Regelwerk gibt, namentlich DIN EN 13201).
Als die Gemeinde trotz dieses Ergebnisses aus 2017 und Angebots der Eheleute, die Umbaukosten selbst zu tragen, um endlich Ruhe und Frieden zu haben, nicht nur ablehnend blieb, sondern sogar Frist zur Klageerhebung setzen ließ, musste die Leistungsklage mit Rechtsweg zum Verwaltungsgericht (§ 40 VwGO) erhoben werden. Das Angebot zur Mediation durch Güterichter wies die Gemeinde dann auch noch zurück, und so musste streitig verhandelt werden. Entgegen Hinweis der Kammer blieb die beklagte Gemeinde uneinsichtig, weil „sonst jeden Tag jemand ins Rathaus käme und etwas anderes wolle“ (dpa).
Eine Gemeinde oder Stadt hat aber die örtlichen Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze zu besorgen (Art. 1 S. 1, 7 Abs. 1 BayGO i.V.m. Art. 83 Abs. 1 BV). Die kommunale Straßenbeleuchtung ist eine Aufgabe der Gemeinden im eigenen Wirkungskreis, die sie gemäß Art. 51 des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes (BayStrWG) und Art. 57 Abs. 1 der Gemeindeordnung im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung eigenverantwortlich erledigen (vgl. Landtags-Drucksache 17/17075, S. 2). Dafür brauchen Kommunen eine effiziente, aber eben auch „bürgernahe Verwaltung“ (https://www.stmi.bayern.de/kub/index.php).
Hier jedoch musste es zur Verurteilung mit voller Kostenlast der Gemeinde einschließlich des teuren Beweissicherungsverfahrens kommen: „Gemeinde befürchtet Präzedenzfall – und bekommt ihn“ (Abendzeitung). Denn: wie schon die weiteren Rechtsprechungsnachweise in diesem Beitrag zeigen, bewegt das Thema landauf, landab.
Die 19. Kammer begründete den Anspruch mit §§ 1004 Abs. 1, 906 Abs. 1 S. 1 BGB analog; § 22 BImSchG ist nicht einschlägig, weil Straßenlaternen keine gewerblichen Anlagen sind (vgl. schon BayVGH vom 18.12.1990 – 8 B 87.03780). Damit und dass die LAI-Hinweise mitentscheidend sein können, liegt die Kammer auf einer Linie bspw. mit VG Düsseldorf vom 18.3.2008 – 16 K 3722/07 – (dort freilich mit anderem Ausgang) und VG Koblenz vom 23.11.2009 – 4 K 473/09 (nicht rechtskräftig geworden). Aus der Kommentarliteratur lässt sich insbesondere Landmann/Rohmer nennen (§ 22 Rn. 13 d). Besagte Hinweise mögen sich nicht ausdrücklich auf öffentliche Straßenbeleuchtungsanlagen beziehen, doch ist die Schutzwürdigkeit von Betroffenen hier nicht geringer als ggü. privatrechtlichen Immissionen (vgl. BVerwG vom 29.4.1988 – 7 C 33/87). Etwas anders, aber im Ergebnis auch pro Anwohner argumentierte das OVG Schleswig, und zwar mit erheblicher Belästigung i.S.d. § 3 Abs. 1 BImSchG durch „Ausleuchtung von Privatgrundstücken“ (Beschluss vom 5.7.2017 – 1 LA 12/17). Wenn das erkennende Gericht mangels Grenz- oder Richtwerten nicht an solche gebunden und daher auf eine Gesamtwürdigung aller die jeweilige Immission charakterisierenden Umstände angewiesen ist, schließt dies nicht aus, dass es Vorschriften oder auch nur Empfehlungen in seine Würdigung einbezieht, die nicht unter § 906 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB fallen. Siehe BGH vom 10.12.2004 – V ZR 72/04 – zum Flughafen Köln/Bonn („Entscheidungshilfe“) und das schon wiederholt zitierte Urteil des BayVGH vom 18.12.1990, abgedruckt in NJW 1991, 2660 („fachkundiger pauschalierter Bewertungsmaßstab“).
Jedenfalls fließt in die vorzunehmende Abwägung die durch die Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse bestimmte Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der betroffenen Nachbarschaft ein, wobei wertende Elemente wie Herkömmlichkeit, soziale Adäquanz und allgemeine Akzeptanz eine Rolle spielen. Bei der Einschätzung, ob Lichtimmissionen durch eine Straßenlaterne zugemutet werden können oder nicht, sind neben dem Gewicht der Interessen des Bürgers auch das Maß der Beeinträchtigung sowie die dem Bürger einerseits und dem Hoheitsträger andererseits zur Verfügung stehenden Abhilfemöglichkeiten einzustellen. Was wiederum die Beeinträchtigung und ihre Wesentlichkeit angeht, kommt es nicht (allein) auf die Lichtstärke, sondern entscheidend auf die durch den Lichtschein der Laternen hervorgerufene Blendwirkung an, wusste schon das OVG Lüneburg am 13.9.1993 (Az. 12 L 68/90). Und ebendies findet eine Stütze in den LAI-Hinweisen, weshalb das VG diese in der Konsequenz auch tenorierte.
Fazit: Diese Entscheidung des VG München zeigt zum einen, dass sich – mit anwaltlicher Hilfe – ein (jahrelanger) „Kampf ums Recht“ (und das gesundheitliche Wohl) lohnt, zum anderen aber auch, wie ein gerechter Interessenausgleich (idealerweise im Dialog) gelingen kann.